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Konrad Völkel, Zwickau

Tiger an Bord!

März 2017


Hallo Leute,

da bin ich halt wegen einer Krankschreibung zu Hause (Virusgrippe) und habe viel Zeit; also stöberte ich mal in der Website. Schließlich verfassen die Kollegen mit großem Aufwand und Enthusiasmus die vielen Artikel, damit diese auch gelesen werden. Nicht zu vergessen der Webmaster, welcher die Sache für uns alle am Laufen hält! [Konrad, wir danken dir!]

Dabei machte ich mich auch über die von Wolfgang Jacob verfassten Zeilen zum Thema "Mercator - Schiffe" her [s. DSR-Fernost-LINES 1983]. Und da wurde ich dann hellwach. Es ging um eine recht ungewöhnliche Ladung: Wir hatten 1986 auf MS "SONDERSHAUSEN" als Gäste das Ehepaar Oskar und Marietta Sperlich mit ihren 7 oder 9 großen Bengal-Tigern an Bord. Kriege die genaue Anzahl noch raus, weil ich mit Sicherheit meiner Frau davon schrieb. Muss nur mal in den Kartons mit den Briefen suchen (Ein Messi lässt grüßen). [Laut W. Jacob waren es neun Tiger.]

Das Schiff führte der Stammkapitän, Kapt. Grosse. Als Bäcker fuhr damals Uwe S. aus Rehna mit. Und nach einigen Tagen trafen wir abends Oskar an Deck dabei an, wie er mit einem sehr kleinen, von Hand betriebenen Fleischwolf für einen der Tiger etwa 15 Kilo Fleisch zerkleinern wollte. Der Ärmste hatte Magenbeschwerden, und das Zerkleinern seiner Ration sollte ihm helfen, besser zu verdauen. Mit dem kleinen Ding von Fleischwolf hätte Oskar da mächtig kurbeln müssen. (Hinter der Kombüse stand ein Kühlcontainer mit dem Tigerfutter für die Überfahrt. Darin war Fleisch von Wildpferden aus Australien. Tiger sind wohl recht wählerisch und nehmen wohl am liebsten Rind oder Pferd zu sich.) Also boten wir Oskar an, das Fleisch mit unserem Gerät in der Kombüse zu zerkleinern. Dieses Angebot nahm er sehr dankbar an.

Natürlich unterstützte die Besatzung die beiden, wo es nur möglich war. Schließlich ist das, was Tiger so ausscheiden, nicht unbedingt Rosenwasser. Hier schaffte der Bootsmann mit der Decksgang immer schnell Ordnung (zumindest ausserhalb der Käfigwagen).

Beim Füttern fanden sich immer Zuschauer ein. Oskar hatte extreme Probleme bei Schiffsbewegungen, und wenn dann Marietta das Füttern übernahm, ließen die Tiger deutlich merken, dass sie nicht das Alphatier des Rudels ist. Wollte Oskar füttern, stellte er sich vor den Käfig, rief den Tiger beim Namen und zeigte in eine Ecke - dann ging der Tiger langsam ruhig rückwärts dorthin. Bei Marietta sprangen sie zuweilen fauchend ans Gitter und schlugen mit ihren riesigen Pranken. Wenn da mehrere hundert Kilo "König der Taiga" gegen das Gitter knallen, flößt das schon gewaltigen Respekt ein.

Natürlich waren die beiden abends überall gern gesehene Gäste, hatten sie doch nach mehrjährigem Gastpiel in Japan viel zu erzählen. Auch interessierten wir uns für die Arbeit mit den Tieren, Unterhalt und Pflege.

Wegen des fehlenden Auslaufs und Bewegungsmangels erhielten die Tiere etwa aller zehn Tage eine Ration Milch, um sich richtig auszusch... Das gab an Deck natürlich eine schlimme Sauerei. In Absprache mit dem Bootsmann wurde das selbstredend immer auf See erledigt, um sofort alles loszuwerden. Auch wenn jetzt gewisse "Umweltaktivisten" kreischen und von einer Ohnmacht in die nächste fallen: War damals eben so. Und da es "biologischen" Ursprungs war, hatten wir kein schlechtes Gewissen. Das hätten andere haben müssen, die auf hoher See Tanks wuschen. Wohl jeder kann sich sicher noch daran erinnern, wie es stank, wenn man mitten auf dem Indik in die Spur eines solchen Schiffes geriet; meist suchte man dann schnell sauberes Fahrwasser. Soweit meine Erinnerung.


Das alles ging mir gestern Abend durch den Kopf. Erzählen kann jeder viel. Also lasse ich mal lieber Bilder sprechen. Oskar und Marietta schenkten uns noch Künstlerkarten, und mindestens ein Foto habe ich auf die Schnelle auch finden können. Worüber ich mich ärgere, ist der Umstand, dass ich das Bild nicht mehr finde, welches ich zum Fenster der Kochskammer heraus aufnahm: Morgens, wenn das Verdunklungsrollo nach oben sauste, schaute "Madras" sofort zu mir und fuhr sich mit der Zunge ums Maul - sehr beruhigend. Ich tröstete mich immer damit, dass zwischen uns die Stäbe seines Wagens waren, und er seinen riesigen Schädel sicherlich nicht durch mein Fenster bekommen würde. Trotzdem ist so etwas natürlich unbezahlbar. "Livin’ next door to Alice" ist dagegen langweilig.
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Da leider vorn nichts auf der Karte steht - könnte euch ja jetzt viel unterjubeln - hier mit Rückseite. Weshalb wir damals nicht um ein Autogramm gebeten haben, ist mir ein Rätsel.
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Hier ein Bild, wie Marietta beim Füttern zugange ist. Die Jungs von Deck konnten da nicht helfen - die Tiger wären sicherlich richtig wild geworden. Nur beim Reinschiff hatten die Tiere Respekt, den Wasserschlauch mit Druck liebten sie wohl nicht besonders. Und sie konnten zwischen C-Rohr und dem normalen Schlauch wohl unterscheiden. Duschen war eine feine Sache.

Nachtrag

Habe mal im Internet nach "Dompteur Oskar Sperlich" gesucht. Vor 2014 hatten beide einen recht schweren Unfall, als ein Tiger sie angriff (musste erschossen werden). Danach haben sie die Dressur aufgegeben und schlagen sich jetzt als Schausteller durch.


Herzlichen Dank an Konrad für seine Story zur wohl außergewöhnlichsten Ladung!

Fotos: Ulrich Ritter, © 1982 Planet-Verlag Berlin; Konrad Völkel, Zwickau


"Tiger an Bord!": Seeleute Rostock e.V., März 2017

   

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  16.03.2017  
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